Nach fünf Jahren Restaurierung übergibt der Architekt David Chipperfield das Berliner Kunst-Juwel wieder den Staatlichen Museen und der Öffentlichkeit.
Berlin-An der Sigismundstraße, viele künftige Besucher der Neuen Nationalgalerie werden wohl achtlos daran vorbeigehen, wächst ein kleines Efeu, sauber eingegrenzt in einem schmalen Pflanzbeet. Es wirkt fast anarchisch, frisch, grün, frei vor der streng steinernen Wand des monumentalen Podiums, so wie es Ludwig Mies van der Rohe auf seinen Plänen dieses 1968 eingeweihten Meisterwerks der Museums- und Nachkriegsarchitektur gezeichnet hat. Es ist einer der vielen subtilen Kontraste, die nun nach der jahrelangen Sanierung des Baus durch das Berliner Büro Chipperfield Architects deutlich werden. Am Donnerstag übergeben sie den Bau wieder den Staatlichen Museen, im September soll eröffnet werden. Und es ist nur zu hoffen, dass wenigstens Ende Mai noch einige Tage der offenen Tür möglich sind, damit dieses sensationell wiedergewonnene Raum- und Lichtkunstwerk auch ohne Kunst darin von einem breiteren Publikum genossen werden kann.
Ein politischer Bau
Die Neue Nationalgalerie entstand 1961 bis 1968 für die Städtische Galerie West-Berlins, erst kurz vor der Eröffnung übernahmen die Staatlichen Museen den Bau. Museumshistorisch gehört sie damit den vielen kommunalen, oft der Moderne gewidmeten Museen der alten Bundesrepublik, die seit den späten 50er-Jahren etwa in Duisburg, Essen, Hannover oder Pforzheim gebaut wurden. Alle diese Bauten sind architektonisch betont zurückhaltend, aber mit Lust am Detail gestaltet worden. Mit solcher ästhetischen Zurückhaltung distanzierte sich der junge Staat vom klobigen Neuklassizismus der Nazizeit, aber auch von den stalinistischen Pracht-Architekturen in der DDR, zeigte seine kulturelle Nähe zu Skandinavien, Frankreich, Großbritannien und den USA, signalisierte, dass er der einzig legitime Vertreter des modernen, entnazifizierten, demokratischen Deutschland sei. Ein politischer Bau also, diese Neue Nationalgalerie.
Für Mies van der Rohe war das Projekt aber auch eine Art künstlerisches Testament: Hier zog der 1886 in Aachen geborene Steinmetz und Architekt
noch einmal alle Register seines Lebenssatzes „Weniger ist Mehr“. Seit den frühen 20er-Jahren war er eine der führenden Kräfte der deutschen Moderne, wanderte 1938 in die USA aus, begründete dort mit den „International Style“ der 40er- bis 80er-Jahre. 1961, als der West-Berliner Senatsbaudirektor Werner Düttmann Mies überzeugte, noch einmal in Berlin zu planen, war der ein Weltstar. Er konnte es sich leisten, wie Martin Reichert vom Büro Chipperfield anhand von Studien imMuseum of Modern Art in New York sowie in Berliner Bau- und Museumsarchiven herausfand, unbedingte Qualität zu fordern – der Senat zahlte willig. Es ging schließlich darum, Mies in West-Berlin bauen zu lassen.
Dabei entstand manche Skurrilität. Der Architekt entwarf etwa weiße, industriell gefertigte, abgehängte Decken für die Ausstellungsräume, um maximale Flexibilität für Beleuchtungskörper und technischen Anlagen zu erreichen. In den USA war das längst Standard in der Büro-, Veranstaltungsraum- und Repräsentationsarchitektur. In West-Berlin aber gab es keine Firma, die ein solches System liefern konnte. Import aber war ausgeschlossen, die lokalen Firmen sollten gefördert werden. Also baute ein Berliner Tischler eine Konstruktion aus Spanplatten und Latten, die zwar fast so aussah, wie Mies sich das vorstellte, doch alles andere als flexibel war. Immer wieder musste umgebaut werden, hierbildete sich, wie Martin Reichert erzählt, die ganze Ausstellungsgeschichte seit 1968 ab. Eigentlich also ein Teil des Museums-Denkmals Neue Nationalgalerie. Doch stand, so deren Direktor Joachim Jäger, von vorneherein fest, dass nicht nur der Bau als Kunstwerk, sondern auch als Museum gerettet werden sollte.
Ãœberhautpt das Licht
Also wurden die historischen Tischler-Deckenplatten nur im Direktorenzimmer und einem angrenzenden Raum erhalten. Die Ausstellungssäle dagegen erhielten mit 60 Jahren Verspätung jene Technikdecken, die Mies sich gewünscht hatte. Die Veränderung ist kaum zu sehen, so wie überhaupt nur der genaue Blick das Neue in der ehrwürdigen Neuen Nationalgalerie zeigt. Selbst der historische graue Teppichboden konnte nachgewebt werden. Er gibt den Ausstellungsräumen jene matte, geradezu wohnliche Akustik, die Museumsreformer der 60er-Jahre forderten, reflektiert aber auch sanft das kraftvoll aus dem Skulpturenhof hereinstrahlende Naturlicht.
Überhaupt das Licht: Durch die Restaurierung wird wieder deutlich, wie grandios Mies den Übergang vom reinen, jetzt etwas aufgehellten, warmen Kunstlicht im Inneren des Baus über Mischzonen hin zu den reinen Tageslichthallen inszenierte, die durch Vorhänge nochmals moduliert werden können. Die oft zu lesende Behauptung, das Sockelgeschoss der Neuen Nationalgalerie sei nur eine museale Notlösung, kann als passé betrachtet werden.
Die
wichtigste Neuerung neben dem modernen Depot unter der Zugangstreppe
sind die neue Garderobe und der neue Museumsladen im Sockelgeschoss. Um
sie zu gewinnen, wurde das einstige Depot regelrecht ausgeweidet. Hier
kann man nun, eine weitere kleine Sensation, die von Mies in allen
Ausstellungs- und Büroräumen sorgfältig kaschierte tatsächliche
Konstruktion des Nationalgalerie-Sockels sehen: Gewaltig ragt da der
skulpturenartige Pfeiler aus grobem Stahlbeton, grob hängen die
Wabendecken aus Stahlbeton. Dass die Garderobenmöbel aus Eiche und
schwarzem Granit sich stilistisch eng an Mies' Möbel anlehnen, erhöht
nur den Kontrast.
Einfach nur nachbauen geht jetzt nicht mehr
Es war von vorneherein klar, dass die Konstruktion der Stahl- und Glashalle weiter so schlank bleiben müsse wie von Mies geplant. Zwar konnten die Scheiben einen Hauch dicker werden als 1968. Doch für das Raumklima reicht das nicht aus. Deswegen wurde vor den Fenstern ein neues Lüftungs- und Entwässerungssystem hinter den alten Lüftungsgittern eingebaut, können wieder wie einst Vorhänge eingezogen werden. Und um die inneren Spannungen aus der Konstruktion herauszunehmen, die einst zum Platzen der Fenster geführt hatten, wurden einige Pfosten ersetzt und beweglich gelagert. Aber selbst Kenner dürften kaum herausfinden, welche es sind, so sauber wurde hier gearbeitet.
Dieses Projekt wird den Architekten, die schon für den Wiederaufbau des Neuen Museums auf der Museumsinsel weltweit gefeiert wurden, wohl neuerlich reichlich Auszeichnungen einbringen. Haben sie doch wiederum bewiesen, dass die geradezu pingelige Rücksicht auf den Baubestand des Hauses durchaus zu verbinden ist mit den Anforderungen, die heute an Museen gestellt werden. Hier ist ein methodischer und ästhetischer Maßstab gesetzt, etwa für die laufende Restaurierung der Kunsthalle in Rostock und die der vielen anderen Museumsbauten aus der Nachkriegs-Moderne, die noch anstehen. Einfach nur um- oder nachbauen – das geht jetzt nicht mehr.